Miss Frankie – Erinnerung an eine Freundin

[Die englische Originalversion dieses Texts finden Sie hier.]

Ich trat dem Peoples Temple bei, als ich zwölf Jahre alt war. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, denn wer im Alter von zwölf Jahren könnte eine solche Entscheidung wirklich für sich selbst treffen? Genau genommen war die Freundin meines Stiefvaters Mitglied der Kirche, und sie führte mich dort ein, in der Hoffnung, dass ich mich “beruhigen” würde. Ich hatte mich in eine recht rebellische Richtung entwickelt und begonnen, mich auf eine Weise aufzuführen, die gefährlich war für mich. Die Kirche betrieb sehr viel Jugendarbeit, und sie hatte das Gefühl, dass ich dort ein wenig zur Räson kommen würde. Ich wurde in die Obhut eines Temple-Mitglieds gegeben, das in San Francisco lebte. Zwei Jahre später, nach einem Selbstmordversuch, wurde ich in eine andere Familie gegeben, in Redwood Valley. Temple-Mitglied zu sein ließ mich tatsächlich ein wenig zur Ruhe kommen, im Gegenzug brachte es jedoch jede Menge Ängste in mein Leben. Ich lernte Newhuanda Darnes kennen, eine Freundin und echte Vertraute, und das war, was ich zu jener Zeit wirklich brauchte. Ihre Mutter und Miss Frankie waren Freundinnen, und sie übernachteten immer bei ihr, wenn die Kirche nach Los Angeles kam.

Ich weiß wirklich nicht mehr, wann ich Frankie Grigsby, die Frau, die wir “Miss Frankie” nannten, kennengelernt habe. Ich sah sie hinter einem der Tische in der Kirche in Los Angeles sitzen und ihre unbeschreiblich köstlichen Kuchen verkaufen. Ihr 7-Up-Guglhupf[1] war zum Niederknien! Und sie wusste, wie man einen Vogel brät! Ihr gebratenes Hähnchen war überirdisch.  Ich hing gerne an ihrem Tisch rum und “half” ihr, wo ich nur konnte, nur um ein Stück Kuchen oder einen Hühnerflügel zu ergattern.

Wir machten Witze und lachten. Newhuanda wusste, dass ich das Lachen wieder erlernen musste, also fing sie an, mich zu Miss Frankie einzuladen. Newhuanda und ich änderten den Titel des Beatles-Lieds “Eleanor Rigby” in “Frankie Grigsby” um. Miss Frankie lachte, wenn wir es sangen. Ich mochte sie, weil sie immer interessiert schien an dem, was ich zu sagen hatte. Sie hatte eine Art, einen anzusehen, die einem das Gefühl gab, interessant und wichtig zu sein. Wenn man mit Miss Frankie sprach, erhielt man ihre volle Aufmerksamkeit.

Ich weiß nicht, warum ich anfing, die Samstagabende, wenn die Kirche zu den Messen nach Los Angeles runter kam, bei ihr zu verbringen. Ich meine, ich hatte Familie in Los Angeles, zu der ich nach Hause gehen hätte können, aber manchmal umging ich einen Besuch bei meinen Geschwistern und ging zu Miss Frankie. Ich hatte hinterher immer ein schlechtes Gewissen deshalb, aber eine Nacht bei Miss Frankie war es immer wert. Wir blieben lange wach und redeten. Miss Frankie war unermüdlich. Ich habe nie herausgefunden, wie sie das machte. Sie konnte ihren Tisch betreuen, Kirchenaufgaben erledigen und dann nach Hause kommen und auch noch Gäste von außerhalb bewirten.

Der Sonntagmorgen bei ihr zuhause war ein Ereignis. Miss Frankie glaubte an den Wert eines herzhaften Frühstücks, und keiner ihrer Gäste ging fort, ohne ein solches genossen zu haben. Nie und nimmer hätte jemand ihr Haus verlassen dürfen, ohne zuvor ihren Speck, ihre Eier, den Brei, ihre Kekse und manchmal sogar gebratenes Hähnchen zu verzehren! Sie gab einem das Gefühl, dass es für sie nicht bloß ein Mahl war. Ich vermute, sie teilte dabei ein Stück von sich selbst mit uns. Ich bezweifle, dass sie in Jonestown je die Chance hatte, diesen Teil ihrer selbst mit anderen zu teilen.

Es ist Jahrzehnte her, dass sie tot ist, aber noch immer kann ich mich an den Duft und Geschmack von Miss Frankies Liebe und Güte erinnern. Ich habe mich oft gefragt, ob irgendwer sich so an sie erinnert und sie so vermisst wie ich.

[1] 7Up pound cake: sehr beliebter Napfkuchen, dem statt Mineralwasser 7Up beigefügt wird, Anm. d. Ü.