[Die englische Originalversion dieses Texts finden Sie hier.]
Wenn wir nicht gerade arbeiteten, schwammen wir, rannten, gingen zu Versammlungen, luden und entluden die Busse, sahen nach den Senioren, spielten mit den Kindern, und all das begann ungefähr um sechs Uhr früh und dauerte bis etwa 23 Uhr, je nachdem, ob die Versammlung in San Francisco, Los Angeles oder Redwood Valley stattfand.
Falls wir in San Francisco oder Los Angeles waren, dauerten die Nächte sehr viel länger, eher bis ein Uhr oder drei Uhr dreißig, je nachdem. Sechs Uhr früh blieb jedoch sechs Uhr früh. Montag Morgen? Verdammt, schon? Sinnlos, ins Bett zu gehen, also bloß die drei K: Kacken, Körperpflege, Kurzrasur. Es fühlte sich alles normal an, völlig normal. Hier einer der Gründe, warum es sich so normal anfühlte: man interagierte täglich mit hunderten von Menschen, und samstags und sonntags mit tausend oder mehr. Es war wie eine große Welt.
Wenn du dich also umsahst, sah es aus, als machten alle anderen dasselbe? So gut sie konnten, und die ganze Zeit. Blut, Schweiß und Tränen, manche Leute gaben alles. Jeden Tag schienen Leute dazuzukommen, jahrelang. Wenn ich also von hunderten und tausenden spreche, ist das Fakt. Was unglaublich(!) war, ist, dass viele Leute sich erinnerten, wer du warst und was dein Verantwortungsbereich war, oder was dein Beitrag zur “Sache” war.
Diese Art von regelmäßiger Interaktion brachte einen dazu, die Gepflogenheit des Sich-Erinnerns vorzutäuschen. Schließlich war man eine Familie. Man sollte die Namen seiner Familienmitglieder kennen und wissen, was sie tun. Es konnten eine oder zwei Wochen vergehen, ohne dass du Kontakt zu jemandem von draußen hattest. All das wirkte so normal. Ab diesem Punkt wurde der Peoples Temple dein Leben. Darüber hinaus galt Fernsehen als Ablenkung, außer, es wurde was über den Temple gebracht oder man war dafür verantwortlich, die Nachrichten zu verfolgen. Immerhin war man angehalten, Radio zu hören und zu lesen. Einen Artikel lesen und hinterher wissen, was man gelesen hatte, war, was mich rettete, vor etwaigen Peinlichkeiten auf der Bühne, „auf dem Parkett“, und mehr dazu später.
Scheiße!!!!
Es schüttet wie aus Eimern, und immer noch ist es heiß, schlammig, holprig; elend, aufregend, gereizt, verrückt, riskant, folgenschwer, beängstigend, besorgt, hoffnungsvoll, “ABSPRUNG”.
Ich konnte dieses unheimliche Licht in der Ferne sehen, einen Schimmer. Dann höre ich die Leute, Stimmen, Kreischen und Singen. Es ist gerade Monsunzeit, und ich befinde mich hinter einem Traktor, werde die Straße entlang gezogen in einem Anhänger aus Metall, halte mich dabei fest, so gut ich eben kann. Mein Lebtag habe ich keine Schlaglöcher von solcher Größe gesehen oder sie durchquert. Wir brachten es fertig, auf jedes Loch, das da war, aufzuschlagen, reinzufallen und wieder raus zu klettern, bloß, um dasselbe wieder und wieder zu tun, viele Meilen und die nächsten paar Stunden lang. Aber der wirklich relevante Punkt ist, dass es dunkel ist, richtig dunkel. Der Dschungel ist da, du kannst ihn bloß nicht sehen.
ABSPRUNG! Wir fangen an, vom Heckteil und den Seiten dieses Anhängers in diesen Schlamm zu springen. Großartig. Ich bin angekommen. Der Pavillon war brechend voll. SCHEISSEEE, ist das verrückt. Ich sehe Ollie, dann sehe ich meine Mutter, alte Freunde; Leute, von denen ich gedacht hatte, sie seien fort, waren hier. Ollie war dick – achteinhalb Monate schwanger – und sie war wunderschön. In der Gruppe, mit der ich ankam, waren wir satte hundert Leute. Wir erhöhten die Bevölkerung von Jonestown über Nacht um zehn Prozent. Zu sagen, dass die Situation nicht behaglich war, ist also eine Untertreibung. Wir singen also und klatschen, sehen uns um, hören zu, machen uns im Geist Notizen. So geht das eine Weile.
Die Atmosphäre ist überdreht, hektisch. Ich kann Jones auf der Bühne sehen. Als die Musik verklungen war, nannte Jones Namen. Verdammt…
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Eugene Smith befand sich am 18. November 1978 auf einem Arbeitseinsatz in Georgetown. Seine Mutter, seine Ehefrau Ollie und sein neugeborener Sohn starben in Jonestown. – Ein Interview mit Eugene Smith findet sich in Leigh Fondakowski, „Stories from Jonestown“, University of Minnesota Press, 2013. Im Jahr 2015 nahm Smith an einer Diskussionsrunde der California Historical Society teil. Anm. d. Ü.