Eine Welt für sich: Das Leben in den Staaten nach Jim Jones’ Umzug nach Guyana

[Die englische Originalversion dieses Texts finden Sie hier.]

Als Jim und weitere Personen nach Guyana aufbrachen, änderten sich die Aktivitäten im Tempel erheblich. In San Francisco fanden weiterhin Versammlungen statt, diese waren jedoch kurz und spärlich besucht: man lauschte einem Tonband von Jim, es gab Zeugnisablegungen und Opfersammlungen. Hinter den Kulissen bereiteten jene, die noch hier waren, immer noch die Abreise der Leute vor, was bedeutete, sie mit dem auszustatten, was mitgenommen werden musste, Holzkisten zu bauen, aus Wohnungen auszuziehen und sie zu reinigen.

Alle kramten ihre Sachen zusammen und packten sie in ihre Kisten. Darüber hinaus nahm jeder einen Seesack voller Gegenstände mit, um die man in Jonestown gebeten hatte. Abreisende wurden per Bus an unterschiedliche Abreiseorte verfrachtet – angeblich, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, wahrscheinlich aber, weil die Tickets von der Ostküste weg billiger waren.

Die alle zwei Wochen stattfindenden Bus-Trips nach Los Angeles gab es nur noch bis Ende 1976, als der Temple seinen Wirkungsbereich verkleinerte, obwohl Jim oder Marcie dort noch einige Messen abhielten, bis Jim im Juni 1977 nach Guyana aufbrach.

Redwood Valley/Ukiah war schon früher reduziert worden, als das Zentrum des Temple sich nach San Francisco verlegte. Als Jim nach Guyana ging, wurden wir in Redwood Valley noch weniger: einige Pflegeeinrichtungen und die Ranch waren noch in Betrieb. Alice Inghram war eine von jenen, die in Redwood Valley blieben, um die Einrichtungen zu betreiben und dann zu schließen, und im Mai 1978 ging sie schließlich runter nach Jonestown. Im November 1978 war lediglich die Ranch noch in Betrieb.

Ich unterrichtete nach wie vor in Ukiah, und mittlerweile lebte ich auf der Ranch und arbeitete dort einen Teil meiner Zeit. Die Stimmung war gut; wir gingen davon aus, zu gegebener Zeit nach Guyana zu gehen. Niemand von uns fuhr zu Versammlungen nach San Francisco, und wir hatten auch keine Versammlungen in Redwood Valley. Ich kann nicht für andere sprechen, weiß aber, dass ich erleichtert war, keine Messen zu haben, keine Security-Schicht, nicht busfahren und nicht in Sitzungen der Planungskommission zu müssen – und, da Jim Jones weit weg war, nicht unter Dauerkontrolle zu stehen oder lächerlich gemacht und daran erinnert zu werden, sich schuldig zu fühlen, weil man zu wenig tat.

Das Leben war viel einfacher geworden. Nach wie vor hielt uns der Wunsch zusammen, eine bessere Welt aufzubauen; Guyana war das Sinnbild dafür. Was wir nicht wussten, war, dass Jim Jones in Guyana, krank, auf Drogen und der Welt gegenüber paranoid, den Kontakt mit dem Leben verlieren würde, zu dessen Aufbau er uns alle inspiriert hatte – und dass seine nie in Frage gestellte Autorität unsere Gemeinschaft irgendwann zerstören würde.

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Ich hatte zwei Sommer in Guyana verbracht. Im ersten Sommer, 1974, waren dort bloß eine Handvoll Leute; wir trafen Vorbereitungen für die Ankunft unseres Boots, der Cudjoe, und für die ersten Siedler, insgesamt etwa achtzehn Personen. Es wurde gerodet und gebaut. In meinem zweiten Sommer, 1976, waren dort ungefähr vierzig Leute. Es gab etliche Gebäude, weitere Rodungen waren im Gange, Hühner wurden gezüchtet, Pflanzen und Bäume angepflanzt und einiges mehr. Wir arbeiteten an einem Schulprogramm für unsere Kinder dort.

Für mich waren diese Sommer in Guyana von einem sehr starken Gefühl der Kameradschaft und Kooperation getragen. Wir arbeiteten, um eine Gemeinschaft aufzubauen, an die wir alle glaubten. Das Leben in einem Dschungel stand in Kontrast zum Trubel unseres Tempellebens in den Staaten, wo wir keine Zeit hatten, unsere Gemeinschaft zu genießen. Für mich war die Kooperation und Arbeit einer kleinen Gruppe von Menschen in der herrlichen Natur des Regenwalds ein willkommener Anfang der Realität, die wir erschaffen wollten. Ich konnte sehen, was wir aufbauten!

In ähnlicher Weise war der Alltag auf der Ranch, nachdem Jim 1977 nach Guyana gegangen war und es keine Messen, endlosen Versammlungen, etc. mehr gab, eine willkommene Abwechslung. Ich spürte dieselbe Kameradschaft, die ich auch 1976 in Jonestown gespürt hatte. Wie in einer Pause, die wir uns allesamt verdient hatten, war endlich Zeit, all das zu genießen.

Die Ranch  war mit ihren Tätigkeiten beschäftigt und wurde zu einer Welt für sich. Wir arbeiteten mit den Klienten, fuhren sie zu diversen Aktivitäten, kümmerten uns um ihre Bedürfnisse und lehrten sie Kompetenzen für ein unabhängiges Leben. Für Jonestown nahmen wir Fernsehfilme auf Band auf. Wir kauften und verpackten Unterrichts- und andere Materialien, um sie nach Jonestown zu schicken.

Nach wie vor unterrichtete ich in Ukiah in einem zweisprachigen Programm, bei dessen Aufbau ich mithalf. Außerdem besuchte ich zweimal die Woche an der Sonoma State University Kurse, die ich für meine Unterrichtstätigkeit benötigte. Ich hatte folglich ein Leben außerhalb des  Temple – obwohl ich nach wie vor bereit war, nach Guyana zu gehen, zu dem, was ich in den Sommern, die ich dort verbracht hatte, kennengelernt hatte. Wir waren alle in einer Art Warteschleife, darauf wartend, dass wir uns zu unseren Kindern und Freunden gesellen würden.

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Am 18. November waren jene von uns, die noch in den USA waren, um nichts weniger überrascht, durcheinander und am Boden zerstört als die breite Öffentlichkeit. Was immer wir von “Weißen Nächten” gehört haben mochten, niemand hatte geglaubt, dass es wirklich passieren würde. Die Tage danach waren für uns alle enorm verunsichernd. Die Klienten wurden von der Ranch geholt. Der Geheimdienst interviewte uns alle in San Francisco. Die Presse hatte die ersten Listen von Toten, wollte sie uns jedoch nur geben, wenn wir uns beim Lesen dieser Listen filmen ließen. Wir lehnten ab, und die Besorgten Angehörigen taten dasselbe (wie wir 25 Jahre später herausfanden).

Wir lösten die Temple-Korporation in Kalifornien auf. Ich stellte fest, dass ich im Leitungsgremium der Korporation in Kalifornien war. Als einer der Geschäftsleiter erhielt ich von der US-Regierung eine Rechnung über mehr als 4,3 Millionen Dollar für das Überbringen der Leichen aus Guyana. Der Anwalt Charles Garry, der uns allen hinterher half, teilte mir mit, dass ich als Mitglied der Geschäftsleitung informiert wurde und nicht persönlich zu zahlen hatte. Ich war erleichtert.

Während die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Temple geregelt wurden, durften wir auf der Ranch bleiben, bis sie im April 1979 verkauft wurde, obwohl die Klienten nie zurückkehrten. Ich war in einer Art Nebel gefangen – ich glaube, das waren wir alle –  während ich versuchte, in etwas Sinnwidrigem irgendeinen Sinn zu finden. Ich hatte insofern mehr Glück als andere, als ich einen Job hatte und in der Gemeinde in Ukiah Unterstützung fand. Die übrigen auf der Ranch gingen nach deren Verlassen ihre eigenen Wege. Zwar bot die Gemeinde in San Francisco Therapiemöglichkeiten an, aber in Wirklichkeit wusste niemand, was er tun oder zu uns sagen sollte. Meine Familie unterstützte mich, war jedoch in vielerlei Hinsicht genauso durch den Wind über all das wie ich.

Aus den Überlebenden gingen etliche Paare hervor, die über die Jahre hinweg zusammenblieben. Nach und nach fanden wir alle Wege und Orte, an denen wir weitermachen konnten – manchen gelang das besser als anderen. Obwohl ich mich 1982 scheiden ließ, telefonierten meine Ex und ich mehr als fünf Jahre lang täglich.

Ich würde sagen, dass wir dazu gebracht worden waren, der Welt zu misstrauen, in die wir zurückkehrten – und die in der Tat nicht übermäßig freundlich war. Die meisten Bücher und sogar zwei Filme, die kurz danach auftauchten, waren geschmacklose Darstellungen, die auf den Schrecken des Endes hin geschrieben und von den Medien seit nun über dreißig Jahren so in Stein gemeißelt wurden. Einige spätere Bücher waren jedoch gut recherchiert und dokumentiert.

Erst, als Leigh Fondakowski etwa 20 Jahre später an ihrem Stück The People’s Temple zu arbeiten begann, das auf Interviews mit Überlebenden basiert, begannen wir über die Temple – Erfahrung zu sprechen. Als das Stück rauskam, trafen viele Überlebende einander zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder. Niemand wollte den Peoples Temple zu neuem Leben erwecken, aber, ob wir wollten oder nicht, wir hatten eine aus einer entsetzlichen Erfahrung resultierende Bindung aneinander, und wir hatten noch immer den gemeinsamen Glauben an eine bessere Welt.

Mit dem Geschehenen fertig zu werden war ein kontinuierlicher Prozess. Mir wurde zum Teil durch die Website des Jonestown-Institute geholfen, die eine Möglichkeit bietet,  über den Peoples Temple in Verbindung zu treten, darüber zu lesen und zu schreiben. Noch heilsamer sind für mich die jährlichen Treffen, die sich entwickelt haben und bei denen Überlebende und Freunde zusammenkommen, reden und Erfahrungen austauschen.

Dreißig Jahre danach bin ich nun imstande, die Frage, die mich seit dem 18. November begleitet hat, zu beantworten: Wie konnte etwas, das so echt und gut zu sein schien, ein so böses Ende nehmen? Beim Wiederaufnehmen meiner Kontakte zu Überlebenden habe ich festgestellt, dass das Gute, das ich im Peoples Temple gefunden hatte,  echt war und dass es dem Guten entsprang, das  wir alle einbrachten – und in jenen, die überlebt haben, finde ich es nach wie vor.