Lyrik aus Jonestown/Poetry from Jonestown

Poetry from Jonestown

Poems by Teri Buford O’Shea, Joyce Polk Brown, Amondo Griffith, Teresa King, and Anonymous.

Rendered into German verse by Heidi König-Porstner.

 (Author’s note: Joyce Polk Brown, Amondo Griffith, and Teresa King died in Jonestown; their poems were written in the United States, and they have been published by Judy Bebelaar and Garrett Lambrev in this website decades later. The poem „Ode to the Plants“ was found in Jonestown; its author remains unknown. Teri Buford O‘Shea left Jonestown several weeks before the final tragedy; in 2011, she published Jonestown Lullaby, a collection of her poetry. She died on November 28, 2018.

(Among all the poems that can be found both in this website and in Buford O’Shea’s book, the ones I chose to translate are – with two exceptions – probably the least “Jonestownian” ones, in the sense that they are not dealing with the tragedy, nor Peoples Temple, and are probably of not much interest for readers who merely search for “information” on Jonestown. However, they certainly are for those among you who love poetry. It was not my intention to make this about “what kind of poetry did Peoples Temple members write?”, nor about the power of poetry in processing trauma (although this certainly plays a role in the poems by Buford O’Shea), but merely about the beauty of these poems – which makes them irresistible for a translator of poetry and arouses the desire to make them known beyond language barriers. I’d also like to make it known that there were (and still are) some remarkable poets among the people who once formed Peoples Temple, whose poems deserve to be read in their own right rather than as “part of the story”.

(With thanks to the authors and to all those who helped to find, to preserve and to publish their poems. )

 

Lyrik aus Jonestown

Gedichte von Teri Buford O’Shea, Joyce Polk Brown, Amondo Griffith, Teresa King und Anonym.

Ins Deutsche übertragen von Heidi König-Porstner.

[Anm. der Übersetzerin: Joyce Polk Brown, Amondo Griffith und Teresa King starben in Jonestown; ihre Gedichte sind in den Vereinigten Staaten entstanden und wurden Jahrzehnte später von Judy Bebelaar und Garrett Lambrev auf dieser Website veröffentlicht. Das Gedicht „Ode an die Pflanzen“ wurde in Jonestown aufgefunden, der Autor ist unbekannt. Teri Buford O’Shea hat Jonestown etliche Wochen vor der Tragödie verlassen; 2011 veröffentlichte sie ihren Gedichtband Jonestown Lullaby. Sie starb am 28. November 2018.

[Von allen Gedichten, die sich auf dieser Website und in Buford O’Sheas Buch finden, sind die von mir übertragenen – mit zwei Ausnahmen – vermutlich jene, die am wenigsten mit „Jonestown“ zu tun haben, in dem Sinn, dass sie weder von der Tragödie noch vom Peoples Temple handeln und somit für Leserinnen und Leser, die lediglich nach „Informationen“  über Jonestown suchen, kaum von Interesse sein dürften. Für jene unter Ihnen, die Lyrik lieben, sind sie es jedoch bestimmt.  Es ging mir nicht um die Frage  “was für Gedichte haben Mitglieder des  Peoples Temple geschrieben?”, auch nicht um Poesie als Mittel zur Traumabewältigung (wenngleich dies in der Lyrik Buford O’Sheas sicher eine Rolle spielt), sondern lediglich um die Schönheit dieser Gedichte –  die sie unwiderstehlich macht für eine Lyrikübersetzerin und die das Bedürfnis weckt, sie über Sprachgrenzen hinweg bekannt zu machen. Es liegt mir auch daran, zu zeigen, dass sich unter den Menschen, die einst den Peoples Temple bildeten, einige bemerkenswerte Lyrikerinnen und Lyriker fanden (und nach wie vor finden), deren Gedichte es verdienen, um ihrer selbst willen gelesen zu werden, und nicht bloß als „Teil der Geschichte“.

[Mein Dank geht an die Autorinnen und Autoren sowie an alle, die zum Auffinden, Erhalten und zur Veröffentlichung dieser Gedichte beigetragen haben. )

—————————————————————————

Teri Buford O’Shea (1952-2018)

Gedicht aus: „Jonestown Lullaby“, iUniverse Publishing, 2011

I Write

 

ICH SCHREIBE

Ich schreibe aus dem Armenviertel der Stille

Von einer unheiligen Priesterschaft, die

Meine Seele eine Weile lang gefangen hielt

Diese Gedichte

Weder Bekenntnis noch Biographie

Folgt der Reise eines einsamen Geistes

In ein Reich, in dem es keine Antworten gibt

 

—————————————————————————

Teri Buford O’Shea (1952-2018)

Gedicht aus: „Jonestown Lullaby“, iUniverse Publishing, 2011

I do not love you

 

ICH LIEBE DICH NICHT

Ich liebe dich nicht

Wie sie meinen, ich sollte

Kein rascher Herzschlag

Kein Feuerwerk

Keine Musik in der Luft

 

Stattdessen setzt du mir

Eine Waffe an den Kopf

Und sagst, ich soll sagen

“Ich liebe dich”

Aber das mach ich nicht

 

Es ist mir egal

Wenn du abdrückst

Das ist das Eine

Das du nicht kriegst.

 

—————————————————————————

Teri Buford O’Shea (1952-2018)

Gedicht aus: „Jonestown Lullaby“, iUniverse Publishing, 2011

AFTER THE END OF THE WORLD

 

NACH DEM ENDE DER WELT

Nach dem Ende der Welt

Trank ich Milch, nur Milch

Anfangs ein ganz kleines Nippen

Dann nahm ich kraftvolle Schlucke

Doch ausschließlich Milch war‘s, was ich trank

Nach dem Ende der Welt

Nach dem Ende der Welt

Fügte ich die Stücke zersplitterten Glases

Zusammen

Und schaute in den Sonnenaufgang

In das Mosaik seiner Lichtreflexe

Blau, rosa, lavendelfarben

Ich hörte die Vergangenheit sprechen

In Stille

Nach dem Ende der Welt

Raste ich mit dem Auto ins Nirgends

Und Nirgends

Wurde mein Zuhause

Nach dem Ende der Welt

Kann ich die neue Sonne untergehen sehen

Von meiner eigenen geschützten Veranda aus

Am  Anfang der Welt.

 

—————————————————————————

Teri Buford O’Shea (1952-2018)

Gedicht aus: „Jonestown Lullaby“, iUniverse Publishing, 2011

Reflection

 

SPIEGELUNG

Während ich mein Gesicht mit dir teile

Sehne ich mich nach tieferer Vertrautheit

Ich gehe durch Treibsandstille

Ans Ende der Welt

Und springe….

Durch Wahnsinn hinein in den Tod

 

Was die Seele ist…

Weiß niemand

Ein unklarer Traum vielleicht

Das Bewusstsein klammert sich an einen Raum, der ihm gehört

Auf der Suche nach freudloser Wonne

Nur, um die Zeit zu tilgen

 

Ich gleite hinaus aus dem Dunkel

In die Butterfinger der Sonne

Diese gespaltene Maske erinnert mich

Dass ich mein Gesicht mit dir teile

Sodass du Zeuge wirst

Von unvorstellbarer Schönheit.

 

—————————————————————————

Anonym

(Jonestown 1977 oder 1978)

Ode to the plants

 

ODE AN DIE PFLANZEN

Voll Majestät, in Stille

bieten sie

sich dar –

 

als Hommage

an was auch immer die heilige

Essenz

des Daseins ist

 

Wäre es doch nur

so einfach

das Göttliche

 

in den Abfällen

zu sehen

 

die entlang

des Gehsteigs wehen.

 

—————————————————————————

Joyce Polk Brown (1960 – 1978)

(abgedruckt in der Lyrik-Anthologie “In Small Dreams”,

Opportunity High School, San Francisco)

PAINT ME

 

MAL MICH

Mal mich mit hoch erhobenem Kopf und Stolz im Blick

mal mich mit einem strahlend breiten Lächeln im Gesicht.

Mal mich mit wunderhübschen bunten Perlen,

mit meinen Haaren im Afro-Style geflochten.

Mal mich mit den Tieren des Dschungels,

wie einem farbenfrohen Vogel und einem braunen, sanften

Affen, der von Baum zu Baum hüpft.

Mal mich mit Leuten aller Nationalitäten.

Mal mich in einem umwerfenden bunten Kleid…

Mal mich schön.

MAL MICH. MAL MICH. MAL MICH.

 

—————————————————————————

Joyce Polk Brown (1960 – 1978)

(abgedruckt in der Lyrik-Anthologie “In Small Dreams”,

Opportunity High School, San Francisco)

How do you get

 

Wie kommt man

aus dem Ghetto hin zum Spatzen

Wie an der Ecke eines Ghettos

einem Spatzen Lippen wachsen

und er wieder weiß, wie man singt

 

————————————————————————— 

Amondo Griffith (1960 – 1978)

The Dark

 

DIE DUNKELHEIT

Ich saß in der Dunkelheit,

nicht: auf sie wartend.

Die Dunkelheit ist wie kein Laut ringsum.

Still ist sie,

sehr still.

Ab und zu

schaue ich auf und ab und rings umher,

um sicherzugehen, dass ich alleine bin.

Ich mag nicht, dass jemand sieht,

wie ich mit mir selbst spreche,

denn ich könnte

das Falsche sagen.

 

—————————————————————————

Teresa King (1947 – 1978)

A woman has lots of choice

 

BLASPHEMISCHE ENTHÜLLUNG ROMANTISCHER MYTHEN

Eine Frau hat jede Menge Wahl in diesem Dasein

Hure oder Nonne

Ein Mann will deinen Leib & deine Dienste nützen

Religion will deine Seele & dein Dienen nützen

Unser Preis ist versorgt zu werden

Sorgst du für mich

dann wasch ich dir die Füße

und breite dann auf deinen Pfaden meine Seele aus

 

Sicherheit erfordert irgendeine Art von Prostitution

Der Geist ist gebeugt

Das Pferd ist gezähmt

Kate lernt zu dienen

 

Wildheit führt zu frühem Tod in unserer Kultur

Margret meine Hexe ich bin verwirrt

Du kämpftest um das Leben junger Knaben

und zerstörtest dann dein eigenes wie ich den eigenen Tod ersehnte

Barbara, Rivalin, wo bist du hingerannt?

Ja, LIEBE, das ist verlockend, gebt mir was von dieser alten Religion

Auch ich wollte Nonne sein, um solche Reinheit zu finden

 

Warum ist der Preis der Tapferkeit so schrecklich hoch?

Warum ist der Preis des Lebens Sterben?

Ich lehne mich auf gegen die Tragik all dessen.

Ich bete um Sublimierung, indes mein Magen revoltiert beim Gedanken an

Aztekenopfer

Genozid

Vernichtung

Und ich schreie um Hilfe.

(Heidi König-Porstner is an author and award-winning translator of poetry,  who lives in Vienna, Austria. She works as an editor for the Austrian Committee for Social Work, and has been a research worker in projects on Philosophy of Science and Contemporary History at the University of Vienna. Her publications cover the areas philosophy and history of science, literature and science, and political philosophy. As a literary translator, her focus is on Spanish poetry, and on biographical works.  Her previous article for the jonestown report is Jim Jones’ news broadcasts in 1978: The Red Army Faction & the two Germanys, She can be reached at adelheidanna@gmx.at.)